Als die Suchroboter kamen

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Eine Kolumne für Internet Professionell aus dem Jahr 2002 …

Achtlos schob ich den gräulichen, etwa schmuddelig wirkenden Duschvorhang zur Seite. Da saß schon wieder so ein kleiner, metallisch blinkender Blechkasten in meinem Waschbecken. Groß war der Kasten nicht. Er hatte vielleicht die Maße einer Zigarettenschachtel.

Vorne klebte eine winzige Fotolinse und zwei LEDs, grün und gelb; oben ragte eine schmale Antenne heraus.

„Wer bist Du?“, fragte ich erstaunt und bedeckte mich währenddessen flüchtig mit einem alten Handtuch. „Ich bin ein Googlerobot“, sagte das kleine Etwas mit einer schrillen, unverschämt künstlichen Stimme.

Ich hatte mich bisher nicht so richtig getraut, die kleinen Metallkästen nach ihrer Herkunft zu fragen. Auf einmal waren sie da: Im Wohnzimmer saßen eines Tages gleich zwei dieser Schachteln auf dem Wohnzimmerschrank. Später entdeckte ich ein weiteres auf dem Küchentisch. Es hatte sich in der Obstschale, gleich hinter den Bananen und neben den Äpfeln versteckt.

Sie redeten nie mit mir. Nur in der Nacht schien es, als sprächen die ab und zu blinkenden LEDs. Gelb und Grün, eine Sprache, die ich nicht verstand. Ich fühlte mich unangenehm beobachtet. Aber irgendwann gewöhnte ich mich an meine neuen Mitbewohner und hoffte nur, dass sie bald den Eintagsfliegen aus dem Sommer folgten.

Um so mehr erstaunt war ich da natürlich, an diesem Morgen endlich eine Antwort zu bekommen. “Aber was machst Du hier bei mir?”, wollte ich wissen. „Google schickt mich. Wir durchforsten jetzt mehr als nur das Web“, quiekte es mir entgegen. „Aha“, mir fehlten ein wenig die Worte, “aber, sag, was genau ist denn Dein Auftrag?“ Das silbern glänzende Schächtelchen bewegte sich auf billig wirkenden schwarzen Plastikrädchen langsam näher an den Beckenrand und flüsterte geheimnisvoll: „Na, wir indexieren Deine Wohnung. Wir nehmen Dein gesamtes Inventar auf, machen Fotos davon, suchen nach Informationen, die der Allgemeinheit nützlich sein könnten und dann verknüpfen wir alles mit dem Web. Aber pssst, alles noch in Alpha.”

Jetzt wurde mir einiges klarer. Ich wunderte mich schon seit ein paar Wochen, warum meine Nachbarn rote Plastikschilder an die Türen hängten, auf denen in fetter weißer Schrift “Suchfreie Zone” stand. Ich hätte niemals gedacht, dass es so schnell gehen würde. Erst gestern redeten wir davon, dass elektrische Geräte wie die Kaffeemaschine oder der Kühlschrank intelligenter und mit dem Web verknüpft würden. Damals sah ich darin noch keinen Sinn.

Mein Leben im Web repliziert und zum “Nutzen für die Allgemeinheit” in einer einzigen Webadresse konzentriert zugänglich machen? Das gefiel mir überhaupt nicht. Und so klingelte ich bei meinem Nachbarn, der mir alles erklärte. Technisch würde es jetzt werden, sagte er noch und dann legte er auch schon los: Alles fing mit einer Spielerei an. Wissenschaftler an der Universität in Los Angeles entwickelten dieses kleine Blechkästchen und tauften es ”Robomote”. Robomote wurde mit einer drahtlosen Netzwerkschnittstelle, einem Sender, kleinen Rädchen, optischen Encodierern und einer Solarzelle versehen. “Also ein drahtloser Satellitenroboter für den Hausgebrauch, quasi ein ‚Googleite’?”, fragt ich. Naja, das sind keine Satelliten, sagte mein Nachbar. Die Robots tauschen sich nämlich gegenseitig über ein Multihop-Netzwerk aus, echtes P2P, lernen voneinander und können dadurch Informationen über längere Strecken weiterleiten.”

Die Wissenschaftler wussten zunächst nicht so richtig, was sie damit anfangen sollten, führte mein Nachbar weiter aus. Aber dann bekam Google einen der Roboter in die Hände und nun haben wir den Salat. “Aber kann man nichts dagegen machen?“, fragte ich entnervt. „Du musst Dir auch so ein Schild an die Tür hängen, dann verschonen Dich die Googlerobots.

Lass Dir das nicht gefallen”, feuerte mich mein Nachbar an. Das genügte. Ich rannte zurück in meine Wohnung, sammelte alle Bots ein, schleuderte sie in eine Ecke und schrie: ”Schluss jetzt, ich kenne meine Rechte, Ihr dürft hier gar nichts machen.” Die Robots waren still und wahrscheinlich auch traurig, einer wimmerte ganz leise vor sich hin. Das half auch ihm nichts, denn dann warf ich alle Bots in den Papierkorb. Seitdem findet Google bei mir nur noch Müll.