Talent wird überbewertet

Gestern hatte ich über das unterbewertete Talent geschrieben und Dich dazu ermuntert auf Talentsuche zu gehen, Dein Talent zuzulassen und zu nähren.

Vorhin ist mir ein Läufer entgegengekommen und da musste ich an „Latschi“ denken. Latschi hat bestimmt noch einen anderen Namen, aber für mich hieß er immer so. Latschi war ein passionierter und schneller Läufer, den ich immer auf meiner Waldrunde in Deutschland traf. Meistens überholte er mich wie ein eiliger Hurrikan, oft kam er mir entgegen. Immer frage ich mich: Wie kann er so schnell laufen.

Latschi war nicht der talentierteste, aber der zähste

Latschi war biomechanisch herausgefordert. Sein Fußgelenk hatte die Knickfunktion aufgegeben und so musste er seinen Fuß wie ein Feldhockeyschläger aufsetzen. Das sah nicht besonders elegant aus. Auch seine Armhaltung war recht unkonventionell. Meistens ruderte er ausladend mit den Armen und ich kann mir vorstellen, dass er bei Laufwettbewerben im Pulk nicht gerade beliebt war. Aber er war ein sehr freundlicher Mensch und grüßte mich jedes Mal mit einem kurzen Läufergruß-Nicken. Als langsamerer Läufer freut man sich immer, wenn man von einem schnelleren Läufer auf diese Weise erkannt wird.

Wahrscheinlich war Latschi nicht der talentierteste Läufer Marke „Windhund“, aber er war immer auf der Strecke. Er lief im strengsten Winter und auch an besonders heißen Tagen. Latschi ist ein Beispiel für „Durchhaltevermögen schlägt Talent“. Im Sport gibt es viele Beispiele dafür. Es gibt FußballspielerInnen, die sind es sehr weit bringen, obwohl ihnen nicht alles sofort auf die Füße fällt. Viele Talente aus der F-Jugend schaffen es nicht.

Wenn sich Interesse und Zeit verbünden

Welche Talente liegen bei Dir schon seit Jahren brach? Im gestrigen Beitrag hatte ich schon erklärt, dass es natürlich ideal ist, wenn man für etwas Talent hat und sich dafür auch interessiert. Wenn man Spaß an etwas hat, es aber nicht so leicht fällt, ist eine andere Tugend gefragt: Durchhaltevermögen und das Gefühl für „Pacing“. Denn meistens befindet man sich dann auf einer längeren Strecke im Marathon.

Wenn wir im Sport bleiben, habe ich ein anderes Beispiel für Dich. Ich war damals ein talentierter Schwimmer, trainierte als kleiner Junge fünfmal in der Woche und an den Wochenenden war ich auf Wettkämpfen unterwegs. Welche Talente liegen bei Dir schon seit Jahren brach? Ich war talentiert und es hat mir Spaß gemacht. Ich war immer da und brauchte nie eine Ausrede. Mit 16 hörte ich mit dem Schwimmen auf höherem Niveau auf (ich trainierte „nur noch“ drei Mal in der Woche).

Dranbleiben zahlt sich aus

Mit etwa 20 begann ich mit Triathlon. Zunächst belächelte ich die Triathleten im Schwimmbad. Der Fahrradfahrer mit seinen dicken Oberschenkeln und seinen steifen Schultern war kein geborener Schwimmer. Auch untrainiert war ich viel schneller und geschmeidiger im Wasser unterwegs. Damals war für mich der Sport nicht mehr so wichtig und ich trainierte nur halbherzig. Der Radfahrer trainierte systematisch. Er war immer da. Und dann, ein paar Jahre passierte es: Er überholte mich. Wahrscheinlich war er technisch noch nicht so weit, aber er hatte einfach viel mehr Körner in den Armen als ich mit meiner feinen Technik. Ich konnte das nicht mehr ausgleichen.

Die Lehre daraus: Wenn Du etwas willst und wirklich alles dafür gibst – und wirklich weißt, dass Du Deine Zeit und Energie dafür verwenden willst und es Dir dabei nicht um eine flüchtige Statuserhöhung geht – dann setze alles in Bewegung und Du wirst die faulen Talente überflügeln. Dann schlägt Beharrlichkeit Talent um Längen.